MARKTKOMMENTAR

KAPITALMÄRKTE IM BANN DER INFLATION – UND DER NOTENBANKEN

An den internationalen Kapitalmärkten stand das Jahr 2022 vor allem unter dem Eindruck der Leitzinswende vieler Notenbanken und zusätzlich inflationsbedingt rasant ansteigender Zinsen bei längeren Laufzeiten. Die Folge waren erhebliche Verluste in nahezu allen Anlageklassen, nachdem die Kurse von Anleihen, Aktien, Krypto-Anlagen und teilweise auch Rohstoffen im Zuge der langjährigen Phase von Null- und Negativzinsen kaum erwartete Bewertungsniveaus erreicht hatten.

Die Kurserholung an den Aktienmärten seit Herbst letzten Jahres wurde dann vor allem durch die Erkenntnis getrieben, dass in vielen Regionen der Welt eine schwere Rezession im Winterhalbjahr vermieden werden konnte. Andererseits sollte die konjunkturelle Abkühlung für einen nachlassenden Inflationsdruck und so die Notenbanken zeitnah zu Leitzinserhöhungspausen oder gar Zinssenkungen veranlassen, so das Kalkül vieler Marktteilnehmer/innen.

Mit den zuletzt veröffentlichten volkswirtschaftlichen Daten begann diese Hoffnung jedoch zu schwinden. Es wird immer deutlicher, dass zwar die nominalen Inflationsraten in den kommenden Monaten weiter sinken werden, denn der Vergleich der aktuellen Rohöl- und Gaspreise mit den stark erhöhten Niveaus des Vorjahres hat einen preisniveausenkenden Effekt. Allerdings sind zuletzt sowohl in den USA als auch in der Eurozone die Kernraten der Inflation – ohne die Komponenten Energie und Nahrungsmittel – weiter angestiegen. Offensichtlich sind hohe Teuerungsraten mittlerweile bei allen für die Inflationsberechnung relevanten Produkten und Dienstleitungen angekommen. Unternehmen waren also bisher in der Lage, gestiegene Kosten überwiegend an die Endverbraucher durchzureichen. Auch steigen Lohnforderungen in laufenden Tarifverhandlungen, die wiederum die künftige Inflation untermauern können.

Zudem dürfte die erwartete deutliche Wachstumsbelebung Chinas ab dem zweiten Quartal für eine steigende Nachfrage nach Rohstoffen, Vorprodukten, Energie und Transportdienstleitungen sowie gute Perspektiven für die globale Konjunktur sorgen. Damit haben sich die Erwartungen an die Notenbanken verschoben. Gerechnet wirdnunmehr mit einigen weiteren Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der US-Notenbank Fed, denn nach wie vor ist deren Hauptziel derzeit die Senkung der Teuerungsraten. Leitzinserhöhungspausen im Laufe des kommenden Sommerhalbjahrs sind weiterhin eine realistische Erwartung, Zinssenkungen bis zum Jahresende 2023 hingegen nicht mehr.

Trotz eines grundsätzlich positiven konjunkturellen Ausblicks auf die kommenden Monate steigt daher die Möglichkeit, dass zu stark steigende und sehr lange auf hohen Niveaus verharrende Zinsen die Wachstumsdynamik wieder ausbremsen könnten. Steigende Refinanzierungs- und Lohnkosten werden nicht alle Unternehmen ohne weiteres fortlaufend auf ihre Absatzpreise aufschlagen können, so dass ein zunehmender Druck auf die Gewinnmargen entstehen dürfte. Die im bisherigen Jahresverlauf sehr positive Entwicklung an den Aktienmärkten könnte vor diesem Hintergrund vorerst ausgebremst werden und zwischenzeitliche Rücksetzer werden wahrscheinlicher, zumindest bis dann doch ein Ende des laufenden Leitzinserhöhungszyklus konkret absehbar wird.

CARSTEN MUMM
CFA, ist Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL.

Er verantwortet die Erstellung der hauseigenen Kapitalmarktmeinung und -publikationen sowie deren Präsentation in Veranstaltungen, Öffentlichkeit und Medien. Im Zuge der Fusion der beiden Bankhäuser CONRAD HINRICH DONNER in Hamburg und Reuschel & Co. Privatbankiers in München im Jahr 2010 führte Carsten Mumm die beiden Asset Management-Einheiten zusammen. In der Folge erfolgte unter seiner Verantwortung die zunehmende Ausrichtung der Asset Management Strategien auf die Bedürfnisse institutioneller Kunden. Seit 2021 ist Carsten Mumm Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken.