STRATEGIE

ASSET-ALLOKATION: DIE KURZE SICHT, DIE LANGE SICHT UND DIE ZEIT DAZWISCHEN

In zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen der vergangenen Jahrzehnte wurde belegt, dass Wertentwicklung und Risiken eines Portfolios im Wesentlichen von der grundlegenden Vermögensaufteilung (Asset-Allokation) in unterschiedliche Anlagesegmente abhängen. Der Fokus auf den langfristig erwarteten Anlageerfolg vernachlässigt aber die Wertrisiken im Zeitablauf.

Eine auf lange Sicht geplante Vermögensstruktur orientiert sich an zentralen Parametern wie Risikoaversion, mittlere Renditeerwartungen, Schwankungsbreiten und Wechselbeziehungen zwischen den Assetklassen. Die durchschnittliche Entwicklung steht im Mittelpunkt und Differenzen vom tendenziell erwarteten Renditepfad werden als bloß zeitweilige, durch temporär veränderte Wirtschafts- und Marktbedingungen beeinflusste Abweichungen vom langfristigen Entwicklungspfad eingestuft.

Ein fixierter Asset-Mix mit einem als optimal erachteten Verhältnis zwischen dem akzeptierten Risiko und der prognostizierten Rendite konstituiert die strategische Asset-Allokation. Um die Struktur dieser strategischen Allokation und des daran gekoppelten Renditeziels zu bewahren, müssen die Asset-Gewichte infolge variierender Wertentwicklungen von Zeit zu Zeit oder bei größeren Verschiebungen korrigiert werden, das ist das sogenannte Rebalancing, also die Wiederherstellung der ursprünglichen Gewichte.

Wie der Blick auf Renditebewegungen von Finanzmärkten zeigt, sind solche Divergenzen im Zeitablauf nicht gleichmäßig, sondern phasenweise sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Abbildung 1  sind als Beispiel die täglichen Wertveränderungen des Stoxx 600 Net Return Index über die vergangenen knapp 35 Jahre dargestellt. Während die tägliche Renditestreuung meist circa plus/minus zwei Prozent beträgt, treten immer wieder Akkumulationen mit dicht aufeinanderfolgenden, sehr hohen Ausschlägen auf – sogenannte Volatilitätscluster.

Quelle: VWD, ELAN Capital-Partners

Die neben dem Renditeverlauf abgebildete Approximation der Verteilungsdichte illustriert die Vielzahl extremer Ausschläge, der Fat Tails, die um ein Vielfaches häufiger auftreten, als dies bei einer Normalverteilung der Renditen zu erwarten wäre. Dazu sind solche auffälligen Ereignisse weder isoliert, noch zufällig über Finanzanlagen hinweg gestreut, sondern treten typischerweise parallel auf den Finanzmärkten über verschiedene Anlageklassen hinweg auf. Die Volatilitäten einzelner Assetklassen sowie die Korrelationen zueinander werden regelmäßig von solchen übergreifenden Turbulenzen erfasst.

Zur simultanen Messung auffälliger Kursschwankungen hat sich bislang noch keine populäre Messgröße etabliert. Jedoch bietet der Werkzeugkasten der multivariaten Statistik potenzielle Instrumente. Eine Maßzahl zur Identifikation von Extremwerten ist die Mahalanobis-Distanz. Dabei werden Varianzen und Kovarianzen multipler Daten genutzt, um den spezifischen Abstand einzelner Daten zu den mittleren Ausprägungen zu erfassen. Wendet man dieses Verfahren auf ein abgegrenztes Asset-Universum an, ergibt sich bei chronologischer Anordnung eine Art Fieberkurve beziehungsweise ein Seismograf, wobei die Ausschläge extremen Renditekonstellationen zugeordnet werden können.

Abbildung 2 zeigt den zeitlichen Verlauf des Mahalanobis-Abstands für ein Asset-Universum aus 16 internationalen Aktien- und Anleihen-ETFs über die letzten 15 Jahre. Zur Berechnung wurde dabei eine dynamische Risikomessung verwendet, um eine präzisere Erfassung der jeweiligen Risikosituationen zu erzielen (GARCH- und GDCC-Schätzung). Aufgrund der speziellen Methodik wird die resultierende Zeitreihe als Turbulenzindex, kurz TIX, bezeichnet.

Quelle: ELAN Capital-Partners

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Augenfällig sind die starken Ausschläge im September 2008 und vor allem im März 2020. Aber auch Ereignisse wie beispielsweise die Eurokrise sind evident. Eine direkte Einordnung der numerischen Ausprägung des Turbulenzindex erfordert noch einen kausalen Bezug zum jeweiligen Ertrags- und Risikopotenzial.

Sortiert man dazu die täglichen Renditen einzelner Assetklassen entsprechend dem jeweiligen Indexstand des TIX, ergibt sich in grafischer Betrachtung durchweg ein charakteristisches, kelch- beziehungsweise V-förmiges Muster, welches in Abbildung 3 exemplarisch für einen Aktien-ETF auf den MSCI Europa Index dargestellt ist.

Vergleicht man parallel mit den TIX-Werten die kumulierten Anteile der Renditen unterhalb des jeweiligen TIX-Wertes (Quantile, rechte Achse in Abbildung 3), erkennt man, dass die Streuung zunächst annähernd proportional zunimmt. Bei den höchsten rund fünf Prozent der TIX-Werte verdoppelt sich jedoch die Streuung. Mit hohen Turbulenzwerten nimmt somit die Unsicherheit über die sich realisierenden Renditen enorm zu.

In der Tabelle sind die mittleren annualisierten Tagesrenditen sowie die Volatilität für alle im Beispiel unterlegten Assetklassen in aufeinanderfolgenden Bereichen (Quantilen) des Turbulenzindex aufgelistet. Im niedrigsten TIX-Quartil gehen positive Renditen (Ausnahme Gold) mit vergleichsweise niedrigen Schwankungen einher. Das folgende Quantil mit der Hälfte aller Werte zwischen 25 und 75 Prozent des TIX weist ausnahmslos positive Renditen auf, wobei die Volatilitäten um mindestens die Hälfte gegenüber dem vorherigen Quantil steigen.

Im darüberliegenden Bereich mit einem Fünftel der Werte (75 – 95 Prozent Quantil der kumulierten Abdeckung des TIX) weisen die annualisierten Aktienrenditen abrupt hohe negative Ergebnisse auf, bei einer weiter deutlich zunehmenden Streuung. In der Gruppe der fünf Prozent höchsten Turbulenzen erreichen die mittleren Renditen exorbitant negative Ergebnisse mit extremen Volatilitätswerten. Aufgrund der starken Streuung treten zwar auch sehr hohe positive Renditen auf (vergleiche Abbildung S. 21), aber die negativen Werte überwiegen.

Insgesamt unterscheiden sich bei hohen Turbulenzen die realisierten Renditen signifikant vom Bereich niedriger Turbulenzen und die durch die Volatilität beschriebene Unsicherheit ist essenziell höher.

Dieser Befund lässt sich analog in alternativen Zusammenstellungen unterschiedlicher Assetklassen demonstrieren. Grob umrissen, ergeben sich in circa einem Viertel der Zeit meist hohe Renditen bei geringer Volatilität und in rund der Hälfte der Zeit überwiegend positive Renditen bei mittlerer Streuung. In etwa einem Viertel der Zeit sind dagegen extrem divergente und überwiegend negative Renditen typisch mit außerordentlich hohen Schwankungen in turbulenten Märkten.

Wegen der ausgeprägten Performancedifferenzen erfährt ein an konstanten Asset-Anteilen orientiertes Portfolio in turbulenten Marktlagen eine starke Abweichung vom angepeilten Risiko- und Ertragsprofil. Werden die Asset-Gewichte an die Ursprungswerte angepasst, tritt zwangsläufig immer ein Timingeffekt auf („Sell the winners, buy the losers.“). Die Abwärtsrisiken des Portfolios nehmen dadurch zu und das Risiko-Ertrags-Profil entfernt sich weiter vom projektierten Verhältnis.

Über den Anlagezeitraum hinweg unterliegt die strategische Asset-Allokation besonders in turbulenten Zeiten substanziellen Rückschlagpotenzialen. Der resultierende Erfolg oder Misserfolg am Ende der Anlageperiode hängt in zufälliger Weise am Verlauf der Wertentwicklung.

Gerade weil Verlustphasen in turbulenten Stresssituationen besonders häufig auftreten, ist ein aktives Handeln konsequent, um ein geplantes Risiko-Ertrags-Verhältnis approximativ zu erhalten und möglichst nahe an den angestrebten Anlagezielen zu bleiben. Auf kurze Sicht ausgerichtete Strategien der taktischen Asset-Allokation versuchen durch Gewichtungsvariationen (Timing), sowohl prognostizierte zeitweilige Renditechancen zu nutzen, als auch entstehende Abwärtsrisiken einzuschränken. Allerdings setzt diese Vorgehensweise eine hinreichende Prognosequalität voraus, um auf Dauer einen Mehrwert erzielen zu können. Prognosefehler führen zu geringerer Performance oder relativ höheren Wertschwankungen, wobei das Ergebnis von der unkontrollierbaren Aufeinanderfolge zutreffender oder fehlerhafter Voraussagen abhängt.

Quelle: ELAN Capital-Partners

Voraussetzung für eine prognoseunabhängige Steuerung eines Risiko-Ertrags-Profils ist ein methodisches Verfahren zur Bestimmung von Allokationsanpassungen, das auf empirisch belegten Indikatoren basiert und eine Risikosteuerung einschließt.

Mit dem Turbulenzindex ist ein transparenter und reproduzierbarer Maßstab gegeben, welcher die jeweilige Risikosituation charakterisiert und verdichtet. Zugleich ist eine leitende Handlungsregel intendiert: In generell ruhigen Marktlagen bis hin zu akzeptierten Variationsbreiten stellt die strategische Allokation eine Richtschnur für die Asset-Gewichtung dar. In Zeiten erhöhter Turbulenzen steht die kurzfristige Steuerung des Risiko-Ertrags-Profils im Vordergrund.
 
ELAN Capital-Partners hat in einem mehrjährigen Entwicklungsprozess den quantitativen Allokations-Algorithmus TOPAS erarbeitet, der den Turbulenzindex als wesentliches Signal zur Einschätzung der aktuellen Marktlage verarbeitet. TOPAS, das Time-Series Orientated Portfolio Allocation System, überwacht das Risiko-Ertrags-Profil eines Portfolios mit einem festgelegten Anlageuniversum und initiiert gegebenenfalls Anpassungen, um das Profil zu stabilisieren. Die dynamische Asset-Allokation von TOPAS reagiert mit flexiblen Änderungen in turbulenteren Zeiten und mit wenig Modifikationen in stabileren Phasen. Nach erfolgreichen Beta-Tests in Echtzeit wird das System seit 2019 für verschiedene Mandate genutzt. Insbesondere im vergangenen Jahr 2020 konnte TOPAS sowohl im „Corona-Crash“ als auch im anschließenden Aufschwung seine Leistungsfähigkeit demonstrieren.

Die Gies & Heimburger GmbH setzt TOPAS seit Oktober 2020 beispielsweise für die zwei 3ik-Strategiefonds I und III ein. Unterlagen zu den Fonds sind in elektronischer Form verfügbar unter: www.hansainvest.de.

ÜBER DEN AUTOR

Bernhard Röck ist Geschäftsführer der ELAN Capital-Partners GmbH. Der Diplom-Volkswirt verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung im Asset-Management und Research sowie als Seminartrainer und Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen in Deutschland.