STRATEGIE

„ESG-KENNZAHLEN SIND EIN MUST-HAVE IN JEDEM INVESTORENGESPRÄCH“

Nachhaltigkeit ist für viele Investoren mittlerweile eines der zentralen Themen. Auch bei der Suche nach Hidden Champions spielt es eine wichtige Rolle. Für die Redaktion der HANSAWELT der Anlass, gemeinsam mit Dr. Sandra Derissen, Leiterin des Fachbereichs Nachhaltigkeitsanalyse bei der avesco Financial Services AG, ins Detail zu gehen.

HANSAWELT: Frau Dr. Derissen, was genau ist die Aufgabe Ihres Teams bei avesco?

Dr. Sandra Derissen: Wir haben drei Hauptaufgaben. Zunächst einmal identifizieren und prüfen wir neue, nachhaltige Hidden Champions. Dazu haben wir eine avesco-interne Nachhaltigkeitsmethode entwickelt. Seit 2015 prüfen wir unsere Unternehmen selbst und entscheiden nach der Prüfung über die Aufnahme in den avesco Sustainable Hidden Champions Equity Fund. Zum Zweiten sind wir für das Monitoring unserer Unternehmen verantwortlich. Treten Kontroversen auf, entscheiden wir neu über den Verbleib der Unternehmen im Fonds. Zum Dritten, und dies beschäftigt uns gerade am stärksten, setzen wir uns mit den aktuellen Entwicklungen im Nachhaltigkeitsbereich auseinander. Dies betrifft neue Regularien, aktuell beispielsweise die Offenlegungsverordnung.

HANSAWELT: Was genau sind Hidden-Champions-Unternehmen?

Derissen: Unter der Bezeichnung versteht man kleine und mittelständische B2B-Unternehmen, die größtenteils unbekannt sind, obwohl sie Marktführer in ihrer Nische sind. Sie sind also Champions in dem, was sie tun – ohne dass die breite Öffentlichkeit diese Unternehmen kennt.

HANSAWELT: Hidden Champions und Nachhaltigkeit – wie gut passt das zusammen?

Derissen: Das passt sehr gut zusammen. Bei den Hidden Champions handelt es sich vorwiegend um Familienunternehmen, die auf einen langfristigen Unternehmenserfolg ausgerichtet sind. Es geht dabei weniger um die Erfüllung kurzfristiger Stakeholder-Interessen, sondern vielmehr um langfristige Ziele. Hinzu kommt, dass Hidden Champions oft stark verwurzelt in ihrer Herkunftsregion sind. Das sind meist ländliche Regionen. Sie werden einen Hidden Champion so gut wie nie in den großen deutschen Städten antreffen. Der gute Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht mit der nachhaltigen Unternehmensführung von Hidden Champions-Unternehmen Hand in Hand. Auch ökologisch haben Hidden Champions einiges zu bieten, leider stellt noch nicht jeder Hidden Champion diese Informationen bereit.

HANSAWELT: Warum ist das so?

Derissen: Viele der Hidden Champions-Unternehmen haben schlichtweg nicht die Ressourcen für die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts. Da sich viele von ihnen unter der Grenze von 500 Mitarbeitenden befinden, ist die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts auch nicht verpflichtend. Kleine Marketingabteilungen können eine Aufbereitung nachhaltiger Leistungskennzahlen oftmals nicht stemmen.

HANSAWELT: Wie kommen Sie an die Daten, die Sie und Ihr Team für die Nachhaltigkeitsanalyse brauchen?

Derissen: Zunächst einmal nutzen wir alle öffentlich verfügbaren Unternehmensquellen. Dazu gehören Webseiten, Geschäftsberichte, Berichte über ESG-Kennzahlen und Nachhaltigkeitsberichte, wenn diese verfügbar sind. Dies verschafft uns einen ersten Eindruck. Auch die Daten von MSCI nutzen wir, wobei man dazu sagen muss, dass rund 40 Prozent unserer Unternehmen nicht von MSCI gecovert werden. Das ist auch einer der Hauptgründe dafür, warum wir eine eigene Analysemethodik entwickelt haben. Oft bleiben dann noch Fragen offen. Daher ist ein Telefonat mit den Unternehmen ein integraler Bestandteil unserer Analyse.

HANSAWELT: Wie gestalten Sie bei avesco das Engagement mit den Unternehmen?

Derissen: Im Laufe eines Analyseprozesses entstehen viele Fragen, die wir am liebsten im persönlichen Dialog mit den Hidden Champions-Unternehmen besprechen. Im Rahmen eines Telefonats klären wir unsere Fragen, geben aber auch Impulse, wie sich das Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit noch weiter verbessern könnte.

HANSAWELT: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Derissen: Wir sprachen Anfang Januar mit einem mittelständischen Unternehmen, welches bisher nur innerhalb eines integrierten Geschäftsberichtes auf das Thema Nachhaltigkeit eingeht. Im Mai soll es nun den ersten Nachhaltigkeitsbericht geben. Da wurden wir zwischenzeitlich vom Fragenden zum Beratenden. Man bat uns um Tipps für den Nachhaltigkeitsbericht. Vor allem stellten sie uns die Frage: „Was wollen denn die Leute und die großen ESG-Rating-Agenturen hören?“ Kleinere Unternehmen haben oft das Problem, dass Nachhaltigkeitsmaßnahmen bereits Teil der Unternehmenskultur sind, diese aber nicht als solche erkannt werden. Das Geleistete wird deswegen gar nicht erst kommuniziert.

HANSAWELT: Hat sich die Informationsbereitschaft in den vergangenen Jahren verändert?

Derissen: Vielleicht nicht unbedingt die Bereitschaft, viel eher die Breite an Informationen. So waren viele kleinere Unternehmen noch vor einigen Jahren oft unvorbereitet, was ESG-Kennzahlen anging. Sprach man sie darauf an, hatten sie diese nicht parat und mussten sie nachreichen. Das hat sich nun maßgeblich geändert. ESG-Kennzahlen sind ein Must-have in jedem Investorengespräch. Heutzutage gehören Daten zu ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragestellungen einfach dazu. Das liegt natürlich auch daran, dass sich immer mehr Investorinnen und Investoren neben Ebit und Co. für ESG-Kennzahlen interessieren, um die Nachhaltigkeit eines Unternehmens beurteilen zu können. Den Unternehmen wiederum ist klar geworden, dass ESG-Kennzahlen ein wichtiges Instrument sind, um am Kapitalmarkt Gelder zu erhalten.

HANSAWELT: Wie viele Hidden Champions befinden sich im avesco Sustainable Hidden Champions Equity Fonds?

Derissen: Derzeit befinden sich 55 Sustainable Hidden Champions im Fonds. Wobei man dazu sagen muss, dass das Universum sehr klein ist. Wir beschränken uns auf die DACH-Region, in der es nur rund 1.500 Hidden Champions gibt. Davon sind wiederum nur circa zehn Prozent börsennotiert. Wir bewegen uns hier also in einem sehr kleinen, aber feinen Universum. Die Hidden Champions werden nicht ohne Grund die „Perlen des Mittelstands“ genannt.

HANSAWELT: Haben Sie einen Liebling unter den Hidden Champions?

Derissen: Ja, derzeit ist es die Va-Q-Tec AG aus Würzburg. Das Unternehmen ist marktführend in der Herstellung und Vermietung von Thermoboxen und Containern zum Transport von temperatursensiblen Gütern. Wir haben das Unternehmen im Frühjahr vergangenen Jahres entdeckt und sofort das große Potenzial erkannt. Derzeit ist Va-Q-Tec in aller Munde, seit bekannt wurde, dass es eine „Vereinbarung mit einem globalen Top-Pharmahersteller“ geschlossen hat. Den Namen des Auftraggebers nannte Va-Q-Tec nicht. Es ist wohl anzunehmen, dass der Auftrag von Pfizer beziehungsweise Biontech stammt. Der Transport und die Kühlung des Biontech-Pfizer-Impfstoffes ist kein leichtes Unterfangen, schließlich muss dieser bei konstant -70 Grad gekühlt werden. Va-Q-Tec hat dafür genau die richtige Technologie. Für mich ist Va-Q-Tec ein tolles Beispiel dafür, was Hidden Champions auszeichnet: Sie sind extrem spezialisiert in dem, was sie tun – Va-Q-Tec entwickelte seine Thermo-Technologie vor 20 Jahren – und denken Nachhaltigkeit im Kontext des Geschäftsmodells.

HANSAWELT: Was zeichnet die Nachhaltigkeit von Va-Q-Tec Ihrer Meinung nach aus?

Derissen: Ökologisch gesehen haben die Va-Q-Tec Kühlprodukte durch die Ressourcen- und Energieeinsparungen eine tolle Ökobilanz. Außerdem setzt das Unternehmen auf ein Mietgeschäft. Das heißt, dass die vermieteten Kühlboxen nach Rückgabe aufbereitet und dann wieder vermietet werden. Va-Q-Tec trägt so zu einer Circular Economy bei. Die soziale Nachhaltigkeit liegt auf der Hand: Dank der Innovation von Va-Q-Tec werden Millionen von Impfdosen in der vorhergesehenen Güte bei den Menschen ankommen. Das Unternehmen leistet so einen großen Beitrag zur hoffentlich baldigen Beendigung dieser Pandemie. Wie Sie sehen, ist der gesellschaftliche Mehrwert dieses Hidden Champions enorm.
Die avesco Nachhaltigkeitsmethodik im Detail erklärt